Migräne ist gekennzeichnet durch wiederkehrende, anfallsartig auftretende Schmerzattacken, die unbehandelt einen bis drei Tage andauern und mehrmals im Monat auftreten können. Während des Anfalls lassen sich kurzzeitige elektrophysiologische und vaskuläre Veränderungen beobachten, die durch funktionelle Störungen im Hirnstamm erklärt werden können. Vor einem Anfall lassen sich vermehrt Müdigkeit, Nackensteifigkeit und kognitive Symptome wie Aufmerksamkeitsprobleme beobachten.
Migräne und Habituation
Bei der Messung evozierter Potentiale lassen sich im Gruppenvergleich zwischen Migränepatienten und Gesunden deutliche Unterschiede in den Amplituden und Latenzen einzelner Komponenten beobachten, sowohl bei der Messung akustischer als auch visuell evozierter Potentiale. Auch bei der Messung langsamer kortikaler Gleichspannungspotentiale sind diese Auffälligkeiten beobachtbar. So lassen sich z.B. bei der Messung der contingent negative variation (CNV), einem einfachen Aufmerksamkeitsparadigma, das eine standardisierte Erwartungssituation hervorruft und die dabei entstehenden hirnelektrischen Veränderungen misst, deutliche Gruppenunterschiede zwischen Gesunden und Migränepatienten feststellen. Dabei lassen sich sowohl Amplitudenunterschiede als auch eine veränderte Habituation während der Messung aufzeigen. Diese veränderte Habituation ist auf eine kortikale Sensitivierung zurückzuführen, die aktuell in mehreren Studien untersucht wird.
Chronische Migräne
Chronische Migräne ist eine neu angelegte Kategorie in der Neufassung der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzen (IHS, 2004). Die Kategorie wurde geschaffen aufgrund der Beobachtung, dass es in etwa 10% aller episodischen Migränefälle innerhalb einer kurzen Zeit zu einer deutlichen Verschlimmerung der Erkrankung kommt. Die Patienten erleiden dabei fast täglich Migräneanfälle und Kopfschmerzzustände, die nicht auf einen vermehrten Medikamentenkonsum zurückzuführen sind. Mit dieser Verschlimmerung geht ein hohes Ausmaß an Beeinträchtigungen des privaten und beruflichen Alltags einher. Außerdem stellen sowohl die Behandlungskosten als auch die Arbeitsausfallzeiten einen wachsenden Kostenfaktor dar. Eine Früherkennung eines möglicherweise später einsetzenden chronischen Verlaufs würde Maßnahmen zur sekundären Prävention ermöglichen.
Ziel der Studie ist die Analyse und Bewertung von Prädiktoren, die vor einer Chronifizierung der Migräne durch Fragebögen oder psychobiologische Untersuchungen erfasst werden können. Hauptzielkriterium ist die Frage der Chronifizierung von Migräneanfällen; diese wird ermittelt über die Anzahl der Migränetage pro Monat, wobei bei mehr als 14 Migränetagen von einer chronischen Migräne ausgegangen wird. Außerdem sollen Prädiktoren für eine Chronifizierung von Migräne mittels Fragebögen und einer psychobiologischen Untersuchung an einer Stichprobe von Migränepatienten erfasst und bewertet werden. Diese Stichprobe soll über einen Zeitraum von insgesamt 18 Monaten beobachtet werden. Die während dieser Zeit chronifizierten Migränepatienten werden hinsichtlich ihres Antwortverhaltens in den o.a. Fragebögen und hinsichtlich der psychobiologischen Parameter analysiert und mit nicht chronifizierten Migränepatienten verglichen. In klinischer Hinsicht sollen die Ergebnisse zu einer Optimierung der Migränediagnostik führen und eine Indikation für psychotherapeutisch - behaviorale Interventionsansätze zur Verhinderung einer Chronifizierung bieten.
Eine weitere Möglichkeit zur Behandlung der chronischen Migräne kann durch Injektionen des Stoffes „Botulinum Toxin A“ Erfolgen. Hierfür findet in Kooperation mit der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. R. Benecke) eine breit angelegte Beobachtungsstudie statt.
Periodizität der Habituation zwischen den Migräneattacken
In den letzten Tagen vor und auch während des Anfalls lassen sich bei Migränepatienten besonders ausgeprägte elektrophysiologische Veränderungen beobachten. So kann vor dem Anfall ein überzufälliger Anstieg der elektrokortikalen Negativierung bei der CNV - Messung festgestellt werden, während des Anfalls dagegen normalisiert sich diese wieder. Jeweils bei besonders ausgeprägter Negativierung ist das Auftreten eines Migräneanfalls sehr wahrscheinlich. Diese elektrophysiologischen Veränderungen um einen Migräneanfall treten systematisch auf; es bietet sich somit an, die Messmethodik auf ihren Wert als objektiver prämonitorischer Prädiktor eines Migräneanfalls zu untersuchen. Wenn mit Hilfe der CNV-Messung ein Migräneanfall vorhergesagt werden kann, würden sich neuartige nichtmedikamentöse und medikamentöse Möglichkeiten anbieten, um den erwarteten Migräneanfall verhindern zu können (sog. „prä-emptive Therapie“).
Migräne und Glaukom
Mögliche Assoziationen zwischen der Migräneerkrankung und einer Glaukomsymptomatik werden in einer gemeinsamen Studie zwischen dem Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie und der Universitätsaugenklinik (Direktor: Prof. Dr. med. A. Jünemann) untersucht.
Migräne im fMRI
Die beschrieben fehlenden Habituationseffekte bei Migränepatienten haben vermutlich ein funktionelles Korrelat im Hirnstamm oder in kortikalen Regionen. Mit Hilfe gemeinsamer EEG- und fMRI-Untersuchungen sollen in einer breit angelegten Studie Korrelate der kognitiven Habituation erforscht werden. Dies wird gemeinsam mit dem Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie (Direktor: Prof. Dr. med. KH. Hauenstein) durchgeführt.